
Case report
Case report und Quiz
Zwangsgedanken
Service d’Addictologie, Hôpitaux Universitaires de Genève
Herr A., ein 32-jähriger alleinstehender Verwaltungsangestellter, ist seit 9 Jahren wegen einer Zwangsstörung in psychiatrischer Behandlung. Sein langjähriger Psychiater ist seit kurzem in Pension gegangen und hat Ihnen den Patienten zur Neubeurteilung und Weiterbehandlung überwiesen.
Herr A berichtet, seit seiner Primarschulzeit unter Zwangsgedanken gelitten zu haben, die insbesondere um eingebildete Verschmutzungen mit Kot kreisen. Es drängt sich ihm auch heute noch, und zum Teil während mehrerer Stunden pro Tag, der Gedanke auf, etwas in seiner Umgebung sei mit Kot verschmutzt. Dies führe unter anderem zum Vermeiden bestimmter Umgebungen, die nicht unter seiner Kontrolle stehen. So unterlasse er es, sofern irgendwie möglich, an Arbeitssitzungen ausserhalb seines eigenen persönlichen Büros teilzunehmen. Die Oberflächen seiner Büromöbel desinfiziere er zudem mehrmals täglich. Auch verbringe er seine Freizeit grösstenteils mit Reinigungsarbeiten zuhause.
Zwangsgedanken und Zwangshandlungen sollen sich verschiedentlich unter Citalopram 60 mg und unter regelmässiger kognitiv-verhaltenstherapeutischer Behandlung, und z.T. über mehrere Monate hinaus, deutlich gebessert haben, was ihm ein Leben auch ausserhalb seiner Wohnung und seines Büros und einige soziale Kontakte erlaubt habe. Seit ca. einem halben Jahr seien die Zwangsgedanken und hiermit verbundenen Zwangshandlugen allerdings wieder alltagsbestimmend geworden, und dies trotzt Beibehaltung der Medikation und der wöchentlichen Therapiesitzungen. Er halte zwar die Gedanken und Rituale für absurd, könne ihnen aber nur kurzzeitig und unter Aushalten ängstlicher Spannung widerstehen. In diesem Sinne empfinde er seine eigenen Gedanken als befremdlich.
Psychiatrische und somatische Komorbiditäten lassen sich ausschliessen.
Frage 1
Herr A empfindet seine sich aufzwängenden Gedanken als befremdlich. Wie nennt man dieses Phänomen?
AGedankeneingebung
BGedankendrängen
CIch-Dystonie
DGedankenkreisen
EÜberwertige Ideen
Kommentar [1–3]
Als Ich-dyston (oder Ego-dyston) werden Phänomene, Zustände, Gedanken usw.bezeichnet, welche von der Person als zwar von sich ausgehend, aber gleichzeitig fremd und störend erlebt werden.
Gedankeneingebung ist eine Ich-Störung, bei der eigene Gedanken (z.B. im Rahmen einer schizophrenen Erkrankung) als von aussen eingegeben und kontrolliert erlebt werden. Solche Gedanken werden als nicht von der eigenen Person ausgehend wahrgenommen.
Beim Gedankendrängen fühlt sich der Betroffene (z.B. im Rahmen einer manischen Episode) dem Druck vieler verschiedener Einfälle oder Gedanken ausgeliefert.
Gedankenkreisen (oder Grübeln) bezeichnet ein unablässiges Beschäftigt-Sein mit meist unangenehmen Themen.
Eine Überwertige Idee ist eine Idee, der affektiv eine übertriebene Bedeutung zugemessen wird und die Denken und Handeln prägt. Sie wird von der Person selber nicht als befremdlich erlebt.
Richtige Lösung: C.
Frage 2
Angesichts der Dauer und der Dosis der Citalopram-Behandlung kann von unzureichendem Ansprechen ausgegangen werden. Welche der folgenden pharmakotherapeutischen Strategien ist hierbei am ehesten angebracht?
AWeitere Erhöhung der Citalopram-Dosis
BWechsel auf Fluoxetin
CWechsel auf Venlafaxin
DAugmentation mit Lithium
EAugmentation mit Aripiprazol
Kommentar
Die aktuellsten Guidelines empfehlen im Allgemeinen eine Augmentations-Therapie mit vorzugsweise atypischen Antipsychotika und insbesondere Aripiprazol [4–6].
Eine Erhöhung der Citalopram-Dosis wäre in Erwägung zu ziehen, falls ein Rapid-Metabolismus gefunden wird. Da der Patient vorgängig aber bereits auf die Dosis angesprochen hatte, ist eine solche metabolische Besonderheit wenig wahrscheinlich.
Der Wechsel auf ein anderes Antidepressivum, sei es ein anderes SSRI oder eine Substanz anderer Klasse, wird für den Fall von Nebenwirkungen empfohlen (als Mittel zweiter Wahl), jedoch nicht für den Fall ungenügenden Ansprechens.
Lithium wird als Augmentations-Therapie im Rahmen einer behandlungsresistenten Depression empfohlen, jedoch nicht bei Zwangsstörungen.
Richtige Lösung: E.
Funding / potential competing interests
No financial support and no other potential conflict of interest relevant to this article was reported.
Correspondence
Correspondence:
Daniele Zullino,
Prof. Dr. med.
Service d’Addictologie
Hôpitaux Universitaires
de Genève
CH-1205 Genève
Daniele.Zullino[at]hcuge.ch
Weiterführende Literatur
1 Scharfetter C. Allgemeine Psychopathologie: eine Einführung;
26 Tabellen. Georg Thieme Verlag; 2002.
2Fähndrich E, Stieglitz RD. Leitfaden zur Erfassung des psychopathologischen Befundes: halbstrukturiertes Interview anhand des AMDP-Systems. Hogrefe Verlag. 2016.
3O’Connor KP. Clinical and psychological features distinguishing obsessive-compulsive and chronic tic disorders. Clin Psychol Rev. 2001;21:631–60.
4 Keck ME, Ropohl A, Bondolfi G et al. Die Behandlung der Angsterkrankungen. Teil 2: Zwangsstörungen und posttraumatische Belastungsstörung. 2013.
5 Koran LM, Simpson HB. Guideline watch (March 2013): practice guideline for the treatment of patients with obsessive-compulsive disorder. Arlington: American Psychiatric Association. 2013.
6 Katzman MA, Bleau P, Blier P, Chokka P, Kjernisted K,
Van Ameringen M. Canadian clinical practice guidelines
for the management of anxiety, posttraumatic stress
and obsessive-compulsive disorders. BMC psychiatry. 2014;14:1.
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