Case report

Case report und Quiz

Zwangsgedanken

DOI: https://doi.org/10.4414/sanp.2017.00478
Publication Date: 15.02.2017
Swiss Arch Neurol Psychiatr Psychother. 2017;168(02):0

Daniele Zullino, Louise Penzenstadler

Service d’Addictologie, Hôpitaux Universitaires de Genève

Herr A., ein 32-jähriger alleinstehender Verwaltungs­angestellter, ist seit 9 Jahren wegen einer Zwangs­störung in psychiatrischer Behandlung. Sein langjäh­riger ­Psychiater ist seit kurzem in Pension gegangen und hat Ihnen den Patienten zur Neubeurteilung und Weiterbehandlung überwiesen.

Herr A berichtet, seit seiner Primarschulzeit unter Zwangsgedanken gelitten zu haben, die insbesondere um eingebildete Verschmutzungen mit Kot kreisen. Es drängt sich ihm auch heute noch, und zum Teil während mehrerer Stunden pro Tag, der Gedanke auf, ­etwas in seiner Umgebung sei mit Kot verschmutzt. Dies führe unter anderem zum Vermeiden bestimmter Umgebungen, die nicht unter seiner Kontrolle stehen. So unterlasse er es, sofern irgendwie möglich, an Arbeitssitzungen ausserhalb seines eigenen persön­lichen Büros teil­zunehmen. Die Oberflächen seiner Büromöbel des­infiziere er zudem mehrmals täglich. Auch verbringe er seine Freizeit grösstenteils mit Reinigungsarbeiten zuhause.  

Zwangsgedanken und Zwangshandlungen sollen sich verschiedentlich unter Citalopram 60 mg und unter regelmässiger kognitiv-verhaltenstherapeutischer Behandlung, und z.T. über mehrere Monate hinaus, ­deutlich gebessert haben, was ihm ein Leben auch ­ausserhalb seiner Wohnung und seines Büros und ­einige soziale Kontakte erlaubt habe. Seit ca. einem halben Jahr seien die Zwangsgedanken und hiermit verbundenen Zwangshandlugen allerdings wieder ­alltagsbestimmend geworden, und dies trotzt Bei­behaltung der Medikation und der wöchentlichen ­Therapiesitzungen. Er halte zwar die Gedanken und ­Rituale für absurd, könne ihnen aber nur kurzzeitig und unter Aushalten ängstlicher Spannung wider­stehen. In diesem Sinne empfinde er seine eigenen ­Gedanken als befremdlich.

Psychiatrische und somatische Komorbiditäten lassen sich ausschliessen.

Frage 1

Herr A empfindet seine sich aufzwängenden Gedanken als befremdlich. Wie nennt man dieses Phänomen?

AGedankeneingebung

BGedankendrängen

CIch-Dystonie

DGedankenkreisen

EÜberwertige Ideen

Kommentar [1–3]

Als Ich-dyston (oder Ego-dyston) werden Phänomene, Zustände, Gedanken usw.bezeichnet, welche von der Person als zwar von sich ausgehend, aber gleichzeitig fremd und störend erlebt werden. 

Gedankeneingebung ist eine Ich-Störung, bei der ­eigene Gedanken (z.B. im Rahmen einer schizophrenen Erkrankung) als von aussen eingegeben und ­kon­trol­liert erlebt werden. Solche Gedanken werden als nicht von der eigenen Person ausgehend wahr­genommen.

Beim Gedankendrängen fühlt sich der ­Betroffene (z.B. im Rahmen einer manischen Episode) dem Druck ­vieler verschiedener Einfälle oder Ge­danken ausge­liefert.

Gedankenkreisen (oder Grübeln) bezeichnet ein unablässiges Beschäftigt-Sein mit meist unangenehmen Themen.

Eine Überwertige Idee ist eine Idee, der affektiv eine übertriebene Be­deutung zugemessen wird und die Denken und ­Handeln prägt. Sie wird von der Person selber nicht als befremdlich erlebt.

Richtige Lösung: C.

Frage 2

Angesichts der Dauer und der Dosis der Citalopram-­Behandlung kann von unzureichendem Ansprechen ausgegangen werden. Welche der folgenden pharmako­therapeutischen Strategien ist hierbei am ehesten ­angebracht?

AWeitere Erhöhung der Citalopram-Dosis

BWechsel auf Fluoxetin

CWechsel auf Venlafaxin

DAugmentation mit Lithium

EAugmentation mit Aripiprazol

Kommentar

Die aktuellsten Guidelines empfehlen im Allgemeinen eine Augmentations-Therapie mit ­vor­zugs­weise atypischen Antipsychotika und insbesondere Aripiprazol [4–6].

Eine Erhöhung der Citalopram-Dosis wäre in Erwägung zu ziehen, falls ein Rapid-Metabolismus gefunden wird. Da der Patient vorgängig aber bereits auf die ­Dosis angesprochen hatte, ist eine solche metabolische Besonderheit wenig wahrscheinlich.

Der Wechsel auf ein anderes Antidepressivum, sei es ein anderes SSRI oder eine Substanz anderer Klasse, wird für den Fall von Nebenwirkungen empfohlen (als Mittel zweiter Wahl), jedoch nicht für den Fall ­ungenügenden An­sprechens.

Lithium wird als Augmentations-Therapie im Rahmen einer behandlungsresistenten Depression empfohlen, jedoch nicht bei Zwangsstörungen.

Richtige Lösung: E.

Funding / potential competing interests

No financial support and no other potential conflict of interest ­relevant to this article was reported.

Correspondence

Correspondence:
Daniele Zullino,
Prof. Dr. med.
Service d’Addictologie
Hôpitaux Universitaires
de Genève
CH-1205 Genève
Daniele.Zullino[at]hcuge.ch

Weiterführende Literatur

1 Scharfetter C. Allgemeine Psychopathologie: eine Einführung;
26 Tabellen. Georg Thieme Verlag; 2002.

2Fähndrich E, Stieglitz RD. Leitfaden zur Erfassung des psycho­pathologischen Befundes: halbstrukturiertes Interview anhand des AMDP-Systems. Hogrefe Verlag. 2016.

3O’Connor KP. Clinical and psychological features distinguishing obsessive-compulsive and chronic tic disorders. Clin Psychol Rev. 2001;21:631–60.

4 Keck ME, Ropohl A, Bondolfi G et al. Die Behandlung der Angst­erkrankungen. Teil 2: Zwangsstörungen und posttraumatische Belastungsstörung. 2013.

5 Koran LM, Simpson HB. Guideline watch (March 2013): practice guideline for the treatment of patients with obsessive-compulsive disorder. Arlington: American Psychiatric Association. 2013.

6 Katzman MA, Bleau P, Blier P, Chokka P, Kjernisted K, ­
Van Ameringen M. Canadian clinical practice guidelines
for the management of anxiety, posttraumatic stress
and obsessive-compulsive disorders. BMC psychiatry. 2014;14:1.

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