
Minireview
Eine Standortbestimmung zur beruflichen Wiedereingliederung
Supported Employment und die Schweiz
Zentrum Psychiatrische Rehabilitation, Universitäre Psychiatrische Dienste Bern, Schweiz
Summary
Supported Employment – and Switzerland
Introducing “supported employment” (SE) for the vocational reintegration of people with severe mental illness in a free market economy led to a paradigm shift in the USA and in Europe. Even though SE is in Switzerland generally the first choice in Switzerland, there is still potential for development and improvement in its implementation.
Die wichtigsten Studienergebnisse
Individual Placement und Support (IPS) ist das am sorgfältigsten konzipierte und am besten evaluierte Supported Employment (SE)-Modell und gilt heute allgemein als der Standard für SE, nicht zuletzt dank der Entwicklung der IPS-Fidelity Scale [1, 2]. In den 2017 revidierten S3-Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) erhält SE/IPS den höchstmöglichen Empfehlungsgrad [3]. 2002, knapp zehn Jahre nachdem in den USA die IPS-Grundsätze des SE publiziert worden waren [4], wurde in Bern erstmals in der Schweiz ein Programm gestartet, das diesen Grundsätzen folgte, und mittels einer RCT-Studie evaluiert [5, 6]. Kurz darauf folgte Zürich, welches sich an der europäischen Multicenter-Studie EQOLISE [7] beteiligte. Lausanne startete 2012 mit RESSORT das erste IPS-Angebot der Westschweiz, das auch wissenschaftlich begleitet wurde [8].
EQOLISE [7] hatte sich zum Ziel gesetzt, in sechs europäischen Ländern mit unterschiedlichen Arbeitsmarktbedingungen, Arbeitslosenraten und Sozialversicherungssystemen die amerikanischen Studien zu replizieren. Werden die Daten aggregiert, gelingt dies in überzeugender Weise. So gab es mit 13% gegenüber 45% signifikant weniger Abbrüche, und auch die stationären Behandlungen waren im Beobachtungszeitraum von 18 Monaten mit 20% vs. 31% signifikant tiefer. Die Bedeutung dieser Studie lag in erster Linie darin, dass sie als eine der ersten die erfolgreiche Umsetzung von SE auch ausserhalb der USA belegte. Da die Zentren in den Niederlanden und Deutschland vergleichsweise schlechtere Ergebnisse erzielten, führte dies in der BRD zu einer bis heute andauernden Kontroverse über die Überlegenheit des SE.
Die Ergebnisse der Berner Studie waren für die Implementierung von SE in der Schweiz und auch international in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung: Einerseits gelang es, eine Finanzierung basierend auf dem Personalverleihansatz zu entwickeln, die eine in den IPS-Grundsätzen verankerte zeitlich nicht befristete Begleitung durch einen Job Coach ermöglicht und damit einen wesentlichen Beitrag für die Nachhaltigkeit des Wiedereingliederungserfolges leistet [9]. Die Studie erwarb sich dadurch im deutschsprachigen Raum Pionier- und Vorbildcharakter. Andererseits war die Berner Studie die Untersuchung mit dem längsten Follow up-Zeitraum einer randomisiert-kontrollierten Studie weltweit. Es konnte gezeigt werden, dass nach fünf Jahren die Überlegenheit gegenüber den herkömmlichen, nach dem «first train, then place»-Prinzip funktionierenden Wiedereingliederungsmassnahmen noch ausgeprägter ist als nach 2 Jahren [6]. Des weiteren konnte sie belegen, dass Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt die Inanspruchnahme (teil-)stationärer psychiatrischer Behandlung schwer psychisch kranker Menschen reduziert und die Lebensqualität erhöht [10]. Ist die Begleitung durch einen Job Coach jedoch zeitlich befristet, wie es bei der EQOLISE-Studie der Fall war, ist die Nachhaltigkeit hinsichtlich der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses und der Einkommenssituation deutlich geringer [11].
In einer wichtigen RCT-Studie der Universität Zürich wurde das SE-Modell evaluiert betreffend der Reintegration schwer psychisch kranker Menschen, die weniger als ein Jahr lang Invalidenrente erhalten hatten [12]. Die Untersuchung ergab, dass mit Hilfe von SE 2,7 mal mehr Personen wiedereingegliedert werden konnten als in der Vergleichsgruppe. Daneben widmete sich die Arbeitsgruppe der Frage, welche Faktoren den Wiedereingliederungserfolg im Rahmen des SE prädizieren [13–15].
Umsetzung von SE in der Praxis
In den vergangenen 15 Jahren entstanden in zunehmenden Masse neben den universitären Zentren über die ganze Schweiz verteilt SE oder Job Coaching-Projekte, die sich im Verein «Supported Employment Schweiz» zusammenschlossen, welcher – wie auch INSOS Schweiz1 – 2010 ein Positionspapier zu SE verfasste [16, 17]. Die Zielgruppe erweiterte sich auf geistig Behinderte, Arbeitslose, Migranten und Jugendliche. Für letztere wurden gezielt Supported Education-Programme entwickelt [18] und teilweise um therapeutische Module ergänzt, wie das aktuell in Planung befindliche Berner «start2work»-Projekt. Zudem hat sich SE zum Erhalt des Arbeitsplatzes mittlerweile gut etabliert.
Mit der Vielfalt entstanden jedoch auch grosse Qualitätsunterschiede. Die wenigsten der Angebote entsprechen heute den in der IPS-Fidelity Scale definierten Kriterien, sondern bieten meist nebst ihren im geschützten Rahmen durchgeführten Trainingsangeboten ein zeitlich befristetes Job Coaching an [19]. Wie bereits Bond et al. [20] zeigen konnten, dürften diese nicht die zu erwartenden Erfolge haben, denn je besser die Standards der IPS-Fidelity Scale erfüllt werden, desto höher ist die Wiedereingliederungsrate auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. «Supported Employment Schweiz» hat sich deshalb 2013 entschlossen, ein entsprechendes Qualitätslabel zu schaffen, was zunächst von den Mitgliedern begrüsst wurde, dann aber auf zunehmenden Widerstand stiess.
Dass SE im Routinebetrieb ähnlich gute Ergebnisse liefert wie in den RCT-Studien, konnten wir in einer kürzlich fertiggestellten Studie zeigen. 46% der 420 Teilnehmenden im Berner Job Coach Placement fanden eine Anstellung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt [21], was dem internationalen Durchschnitt entspricht, der bei 43% liegt und damit 2,5 mal höher liegt als bei herkömmlichen Wiedereingliederungsprogrammen nach dem «first train, then place»-Prinzip [22]. Damit erweist sich SE im Routinebetrieb genauso überlegen wie in den IPS-RCT-Studien [23, 24].
Mit Besorgnis mussten wir in Bern feststellen, dass die Invalidenversicherung (IV) gemäss den uns bekannten Zahlen zunehmend weniger an Schizophrenie erkrankte Patienten dem SE zuweist, obwohl gerade diese Gruppe am meisten von dem Angebot profitiert [24]. Wir befürchten, dass die IV nach wie vor davon ausgeht, schwer psychisch Kranke müssten zunächst Integrationsmassnahmen (Belastbarkeits- und Aufbautraining) absolvieren und hätten erst ab einer Arbeitsfähigkeit von 50% Anspruch auf eine Wiedereingliederungsmassnahme [25]. Grosse Zweifel sind angebracht, ob dieses dem Stufenleiterprinzip verhaftete Vorgehen zielführend ist [26], zumal bisher jegliche wissenschaftliche Evidenz über die Wirksamkeit von Integrationsmassnahmen fehlt.
Ausblick
Durch die voranschreitende Technologisierung der Arbeitswelt wird die Zahl von Nischenarbeitsplätzen weiter abnehmen. Und wir müssen davon ausgehen, dass auch trotz der überzeugenden Erfolge des SE sich zukünftig eine geringere Anzahl schwer psychisch Kranker in den allgemeinen Arbeitsmarkt reintegrieren lassen. Um diesem Trend Rechnung zu tragen, sind folgende Massnahmen nötig:
1. SE sollte sich zukünftig vermehrt der Aufrechterhaltung des Arbeitsplatzes widmen [27].
2. Bereits während der (tages-)klinischen Behandlung sollte mit einer bisher vernachlässigten Frührehabilitation begonnen werden [28].
3. SE sollte bei Jugendlichen in Form von SupportedEducation angeboten.
4. Supported Education sollte vermehrt mit über TARMED finanzierten Therapieangeboten angereichert werden.
5. Weiter sollten zur Qualifizierung der Job Coaches SE-Lehrgänge angeboten werden analog jener der Hochschule Luzern.
6. Das bisherige Paradigma der IV «Wiedereingliederung vor Rente» erwies sich für schwer psychisch Kranke oft als unrealistisch und sollte zukünftig dank vermehrter Anwendung von SE um das Paradigma «Wiedereingliederung mit (Teil-)Rente» erweitert werden, sodass Anstellungen mit Leistungslohn zunehmen.
7. Entscheidend für die Zukunft von SE in der Schweiz ist jedoch, dass ein Qualitätslabel gemäss IPS-Standards geschaffen und dessen Einhaltung mittels entsprechender Audits überprüft wird.
8. Auf IV-Integrationsmassnahmen – durchgeführt im geschützten Rahmen einer Institution – sollte bis zum Nachweis ihrer Wirksamkeit verzichtet werden.
Auch wenn SE auf dem besten Weg ist, in der Schweiz zur breit angewendeten beruflichen Wiedereingliederungsmassnahme der ersten Wahl zu werden, besteht immer noch erhebliches Ausbau- und Verbesserungspotential.
1 Nationaler Branchenverband der Institutionen für Menschen mit Behinderung.
Funding / potential competing interests
No financial support and no other potential conflict of interest relevant to this article was reported.
Correspondence
PD Dr. med.
Holger Hoffmann
Universitäre Psychiatrische Dienste Bern
Murtenstrasse 46
CH-3047 Bern
holger.hoffmann[at]
upd.unibe.ch
References
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3 DGPPN (Hrsg). S3-Leitlinie Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen. Berlin, Heidelberg: Springer. 2. Edit., 2018 (im Druck).
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17 INSOS Schweiz. Positionspapier zu «Begleitung der Arbeitnehmenden im Unternehmen» (Supported Employment). 2010;
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18 Hofmann C, Schaub S. Supported Education» im ersten Arbeitsmarkt: Ausbildungssituation und berufliche Perspektiven. Schweizer. Z. Heilpädagogik. 2014;20/10:25–32.
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