
Case report
Hab ich das nicht schon einmal irgendwo gelesen?
a Service d’Addictologie, Hôpitaux Universitaires de Genève, Schweiz
b Stationäre Dienste, Luzerner Psychiatrie, Klinik Luzern, Schweiz
Anlässlich der jährlichen Facharztprüfung werden sämtliche schriftlichen Arbeiten einer Plagiatskontrolle unterzogen. Der Prüfungsleiter muss unter anderem in 5 besonderen Fällen entscheiden.
In einem dieser Fälle liegt kein Plagiat vor. In welchem?
Kandidat A
Text des Kandidaten:
Das Gehirn ist keine fix verdrahtete Zentrale, sondern ein anpassungsfähiges, lernfähiges Organ, mit dem der Mensch die Welt interpretieren, sich in ihr bewegen, und sich ihren Anforderungen und Möglichkeiten anpassen kann [1, 2]. Diese Grundvorstellung findet sich in dem Ausdruck «Neuroplastizität» wieder [3].
1 Kesselring J.Erquickende Pausen. In:Ilse Oehler (Hrsg) Pause bitte! Verlag Anne Rüffer Zürich 2014, S. 88–99.
2 Doidge N. The Brain That Changes Itself. New York: Viking; 2007. (Deutsch: Neustart im Kopf: wie sich unser Gehirn selbst repariert. Übersetzung von Jürgen Neubauer. Frankfurt a. M. und New York: CampusVerlag; 2008).
3 KesselringJ. Spielformendes Bewusstsein – neurologische Perspektiven. In: Mettner M Jung J (Hrsg): Eigenes Leben – Jemand sein dürfen statt etwas ein müssen. Zürich: NZZ Buchverlag; 2015. S. 98–109.
Quelltext (Kesselring J. Das flexible Gehirn. SANP 2015;166(8): 263–268):
Das Gehirn wird heute nicht mehr als fix verdrahtete Zentrale, sondern als ein anpassungsfähiges, lernfähiges Organ betrachtet, mit dem wir die Welt interpretieren und uns in ihr bewegen, uns den Anforderungen und Möglichkeiten anpassen [1, 2]. Diese Grundvorstellung wird in dem Ausdruck «Neuroplastizität» [3] vermittelt.
1 Kesselring J.Erquickende Pausen. In:Ilse Oehler (Hrsg) Pause bitte! Verlag Anne Rüffer Zürich 2014, S. 88–99.
2 Doidge N. The Brain That Changes Itself. New York: Viking; 2007. (Deutsch: Neustart im Kopf: wie sich unser Gehirn selbst repariert. Übersetzung von Jürgen Neubauer. Frankfurt a. M. und New York: CampusVerlag; 2008).
3 KesselringJ. Spielformendes Bewusstsein – neurologische Perspektiven. In: Mettner M Jung J (Hrsg): Eigenes Leben – Jemand sein dürfen statt etwas ein müssen. Zürich: NZZ Buchverlag; 2015. S. 98–109.
Kandidat B
Text des Kandidaten:
In Hilfs- und Sozialberufen, im Gesundheits- und Berufsrettungswesen sowie in der Sozialarbeit wird normalerweise erwartet und gefordert, dass Mitarbeiter Mitgefühl und Einfühlungsvermögen für Patienten und Klienten entwickeln, was ein gutes Gefühl für Stärke, Zufriedenheit und Erfüllung vermitteln kann ([1] zitiert in [2]).
1 Melvin CS. Historical Review in Understanding Burnout, Professional Compassion Fatigue, and Secondary Traumatic Stress Disorder From a Hospice and Palliative Nursing Perspective. Journal of Hospice & Palliative Nursing. 2015;17(1):66–72.
2 Vu & Bodenmann. Preventing, managing and treating compassion fatigue. SANP 2017;168(08):224-231
Quelltext (Vu & Bodenmann. Preventing, managing and treating compassion fatigue. SANP 2017;168(08):224-231)
In helping and social professions, such as healthcare, professional rescue and social work, it is usually expected and required that professionals employ com- passion and empathy with patients and clients, which can provide a great sense of strength, satisfaction and fulfilment [1].
1 Melvin CS. Historical Review in Understanding Burnout, Professional Compassion Fatigue, and Secondary Traumatic Stress Disorder From a Hospice and Palliative Nursing Perspective. Journal of Hospice & Palliative Nursing. 2015;17(1):66–72.
Kandidat C
Text des Kandidaten:
Obschon die Effektivität von Psychotherapien im Allgemeinen gut dokumentiert ist ([1, 2] zitiert in [3]), scheint ein Teil der Patienten nicht optimal davon zu profitieren [3]. Ca. 5-10% scheinen sich unter Psychotherapie sogar zu verschlechtern ([4] zitiert in [3]).
1 Smith ML. What research says about the effectiveness of psycho- therapy. Hosp Community Psychiatry. 1982;33(6):457–61.
2 Lambert MJ. Outcome in psychotherapy: the past and important advances. Psychotherapy (Chic). 2013;50(1):42–51.
3 Rogausch et al. SANP 2017;168:73–77
4 Hansen NB, Lambert MJ, Forman EM. The psychotherapy dose- response effect and its implications for treatment delivery services. Clin Psychology. 2002;9 (3):329–43
Quelltext (Rogausch et al. SANP 2017;168:73–77)
Die Wirksamkeit von Psychotherapien bei einer Vielzahl psychischer Störungen ist gut belegt [1, 2]. Bei der Mehrheit der Patienten zeigt sich am Ende einer Psychotherapie eine stabile und klinisch bedeutsame Verbesserung ihrer Symptomatik. Ein Teil der Patienten profitiert jedoch nicht optimal von Psychotherapie; einer Minderheit von ca. 5–10% der Patienten geht es am Ende einer Therapie sogar schlechter als zuvor [3].
1 Smith ML. What research says about the effectiveness of psycho- therapy. Hosp Community Psychiatry. 1982;33(6):457–61.
2 Lambert MJ. Outcome in psychotherapy: the past and important advances. Psychotherapy (Chic). 2013;50(1):42–51.
3 Hansen NB, Lambert MJ, Forman EM. The psychotherapy dose- response effect and its implications for treatment delivery services. Clin Psychology. 2002;9 (3):329–43.
Kandidat D
Text des Kandidaten:
In der wissenschaftlichen Literatur zu psychotherapeutischen Besserungsprozessen finden sich unterschiedlichste Auffassungen in Bezug auf die Bedeutung genereller Wirkfaktoren, so auch in Bezug auf die therapeutische Arbeitsbeziehung [1]. Die therapeutische Arbeitsbeziehung ist so wohl einer der am beständigsten erforschte allgemeine Wirkfaktor. Hierbei werden von gewissen Autoren die allgemeinen Wirkfaktoren als notwendig und ausreichend gewertet [2].
1 Rudolf G. Die therapeutische Arbeitsbeziehung. Springer Berlin Heidelberg; 1991
2 Pfamatter M, Tschacher. Wirkfaktoren der Psychotherapie – eine Übersicht und Standortbestimmung. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie 2012; 60:67-76.
Quelltext (Häring et al., SANP 2010;161(5):154–65)
In der Forschungsliteratur zu psychotherapeutischen Veränderungsprozessen werden verschiedene Ansichten bezüglich der Rolle allgemeiner Wirkfaktoren, unter anderem auch der therapeutischen Arbeitsbeziehung erörtert [1]. Tatsächlich ist die therapeutische Arbeitsbeziehung wohl einer der am häufigsten diskutierten allgemeinen Wirkfaktoren in der Psychotherapieforschung. Dabei betrachten manche Autoren die allgemeinen Wirkfaktoren als notwendig und hinreichend [2] (…).
1 Lambert MJ. Psychotherapy Outcome Research: Implications for Integrative and Eclectic Therapists. In Norcross JC and Goldfield MR (Eds.) Hand- book of Psychotherapy Integration New York: Basic Concepts; 1992.
2 Patterson CH. Empathy, warmth, and genuineness in psychotherapy: A review of reviews. Psychotherapy. 1983;21:431–8.
Kandidat E
Text des Kandidaten:
Dass das Credulitas-System auf verschiedenster Stufe in der Entwicklung von Humbug miteinbezogen ist, wurde in der Zwischenzeit durch zahlreiche Feldstudien belegt. Neuere Erkenntnisse aus der Stultia-Forschung haben nun die Frage der Wirksamkeit der Alapa-Therapie aufgeworfen.
Quelltext (Aus einer publizierten Arbeit des Kandidaten: Kandidat E. Alapa-Therapie zur Stultia-Behandlung. Seldwyler Zeitschrift für Schmonzes 2019: 1: 1-5)
Dass das Credulitas-System auf verschiedenster Stufe in der Entwicklung von Humbug miteinbezogen ist, wurde in der Zwischenzeit durch zahlreiche Feldstudien belegt. Neuere Erkenntnisse aus der Stultia-Forschung haben nun die Frage der Wirksamkeit der Alapa-Therapie aufgeworfen.
Kommentar
Plagiarismus
Plagiarismus ist Diebstahl geistigen Eigentums. Ein Plagiat besteht in der Präsentation von Arbeiten oder Ideen anderer als die eigenen, mit oder ohne deren Zustimmung, indem sie ohne vollständige Anerkennung in ihre Arbeit aufgenommen werden [1–4]. Sämtliches veröffentlichtes und unveröffentlichtes Material, ob in handschriftlicher, gedruckter oder elektronischer Form, fällt unter diese Definition [1]. Dies betrifft das Einfügen von Formulierungen, Textstellen, Theorien, Hypothesen, Erkenntnissen, Daten, Bildern oder ganzen Kapiteln in die eigene wissenschaftliche Arbeit sowie das Darstellen von Ideen oder Analysen anderer als eigenes intellektuelles Produkt [2–4]. Es ist hierbei unerheblich, ob das Plagiat vorsätzlich oder unbeabsichtigt erfolgt [2].
Ein Plagiat kann sowohl aus einer direkten Übernahme (Copy-Paste), als auch einer paraphrasierten oder einer in eine andere Sprache übersetzten Übernahme ohne entsprechende Kenntlichmachung und Zitierung der Quelle und des Urhebers bestehen [3].
All dies gilt auch für das sogenannte Selbstplagiat, der Wiederverwendung eigener veröffentlichter wissenschaftlicher Arbeiten, ohne korrektes Zitieren [5].
Paraphrasierung
Falls nicht korrekt referenziert wird, gilt das Paraphrasieren der Arbeit anderer, indem lediglich einige Wörter und/oder deren Reihenfolge geändert oder der Aufbau einer Argumentation reproduziert wird, auch als Plagiat [1]. Der Hinweis auf den Originalautor ist dabei nicht ausreichend. Es muss sichergestellt werden, dass nicht der irreführende Eindruck entsteht, dass die spezifische Textstelle oder Idee die des übernehmenden Autors ist [1].
Gemäss Richtlinien des Office of Research Integrity [4] sollten für ein korrektes Paraphrasieren nicht lediglich einzelne Worte mit Synonymen ersetzt, sondern auch eine eigene syntaktische Struktur verwendet und selbstverständlich stets korrekt referenziert werden. Wenn die Arbeit Anderer paraphrasiert oder zusammengefasst wird, sollten die übernommenen Ideen zwar getreu übernommen werden, aber in der dem übernehmenden Autor eigenen Sprache [4].
Korrektes Zitieren
Gemäss Leitlinien der Universität Oxford [1] sollten keine Referenzen angegeben werden, welche vom Autor nicht selber konsultiert wurden. Sollte der Zugriff auf die Primärquelle nicht möglich sein, sollte im Text klargestellt werden, dass die Information aus einer Sekundärquelle stammt (z. B. Müller A. Entwicklung der Schweizer Psychiatrie, 2001; zit. .n. Meier M, Geschichte der deutschsprachigen Nervenheilkunde, 2014).
Art. 25 des Bundesgesetzes über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte präzisiert diesbezüglich:
Veröffentlichte Werke dürfen zitiert werden, wenn das Zitat zur Erläuterung, als Hinweis oder zur Veranschaulichung dient und der Umfang des Zitats durch diesen Zweck gerechtfertigt ist.Das Zitat als solches und die Quelle müssen bezeichnet werden. Wird in der Quelle auf die Urheberschaft hingewiesen, so ist diese ebenfalls anzugeben.
Die Zitierpflicht bedingt also, dass jeder fremde Gedanke und jede verwendete Quelle in der eigenen Arbeit kenntlich zu machen sind. Hierfür gibt es aber eine Ausnahme: In wissenschaftlichen Publikationen müssen Aussagen und Sachverhalte, die für die Leserschaft als allgemein bekannt gelten können, nicht mit einem Zitat belegt werden, selbst wenn diese Erkenntnisse letzten Endes von Dritten stammen [4]. Dass Fluoxetin ein Serotonin-Wiederaufnahmehemmer ist, muss z.B. in einer Zeitschrift für Psychopharmakologie nicht referenziert werden −in einer Masterarbeit unter Umständen aber schon.
Richtige Antwort: C
Begründung der richtigen Lösung
Kandidat A hat den Originaltext inklusive der Referenzen übernommen und den Text lediglich etwas affirmativer gestaltet. Die wesentlichen Ausdrücke und Konzepte (z.B. «fix verdrahtete Zentrale»; «anpassungsfähiges, lernfähiges Organ») werden wörtlich übernommen. Dadurch, dass der Originaltext nicht referenziert wird, entsteht der irreführende Eindruck, es handle sich um Formulierungen des Kandidaten. Zudem wird der Eindruck erweckt, dass der Kandidat die drei referenzierten Arbeiten selber aufgefunden und verarbeitet habe.
Kandidat B referenziert zwar korrekt ([1] zitiert in [2]), liefert aber lediglich eine Übersetzung des Quellentextes. Dies entspricht formell einer oberflächlichen Paraphrasierung mit Beibehaltung der Satzstruktur. Es entsteht auch hier der irreführende Eindruck, das argumentative Gerüst stamme vom Kandidaten.
Kandidat C hat den Originaltext in eigenen Worten zusammengefasst, was sich insbesondere in einer deutlich anderen Syntax niederschlägt. Die Übernahme der Referenzen wird klar als solche ausgewiesen (z.B. « [1, 2] zitiert in [3]»). Die Aussage «Ein Teil der Patienten profitiert jedoch nicht optimal von Psychotherapie» wird vom Kandidaten als Aussage des Autors des Originaltextes gewertet und entsprechend referenziert. Obschon Kandidat C die ganze Textpassage neu formuliert hat, wird stets klar, dass die Sachverhalte selber aus anderer Quelle stammen.
Die beibehaltene Satzstruktur im Textabschnitt von Kandidat D weist darauf hin, dass der Text kopiert und anschliessend wortweise Ausdrücke mit ihren Synonymen ersetzt wurden. Ausserdem wurden die Referenzen aus dem Originaltext mit alternativen Referenzen ersetzt. Das kann zwar darauf hinweisen, dass die neu eingesetzten Referenzen von Kandidat D konsultiert wurden, es wird aber auch in diesem Fall der Eindruck erweckt, es handle sich in dieser Form um einen Gedankengang des Kandidaten, obschon er in Wirklichkeit ohne Referenzierung direkt aus dem Originaltext übernommen wurde.
Kandidat E begeht ein Selbstplagiat. Er übernimmt wortgenau eine Textpassage aus einem zuvor von ihm publizierten Artikel, ohne ihn zudem zu referenzieren. Insbesondere handelt es sich hierbei nicht um die Beschreibung einer standardisierten Methode aus dem Methodologie-Abschnitt einer wissenschaftlichen Arbeit, für die je nach wissenschaftlicher Zeitschrift möglicherweise eine gewisse Toleranz besteht. Wäre der Textteil klar als Zitat markiert (Anführungszeichen, Einzug o.ä.) und mit der bereits publizierten Arbeit referenziert, wäre es ein erlaubtes Selbstzitat und kein Selbstplagiat.
Correspondence
Prof. Dr. med. Daniele Zullino, Service d’Addictologie, Grand Pré 70, CH-1202 Genève, Daniele.Zullino[at]hcuge.ch
Referenzen
1 ox.ac.uk/students/academic/guidance/skills/plagiarism [Internet]. Oxford: University of Oxford; c2020 [cited 2020 Mar 12]. Available from: https://www.ox.ac.uk/students/academic/guidance/skills/plagiarism?wssl=1
2 Université de Genève [Internet]. Genève: Université de Genève; c2011 [cited 2020 Mar 12]. Faculté des sciences de la société; [pdf document]. Avalable from: https://www.unige.ch/sciences-societe/files/6013/8902/4330/plagiarism-directive-19092011.pdf
3 oeawi.at/richtlinien[Internet]. Wien: Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität; c2015 [cited 2020 Mar 12]. Available from: https://oeawi.at/richtlinien/
4 Avoiding Plagiarism, Self-plagiarism, and Other Questionable Writing Practices: A Guide to Ethical Writing [Internet]. Rockville: The office of research integrity; c2015 [cired 2020 Mar 19]. Available from: https://ori.hhs.gov/avoiding-plagiarism-self-plagiarism-and-other-questionable-writing-practices-guide-ethical-writing
5 Gamper A. Das so genannte «Selbstplagiat» im Lichte des §103 UG 2002 sowie der «guten wissenschaftlichen Praxis». Zeitschrift für Hochschulrecht. Hochschulmanagement und Hochschulpolitik. 2009;8(1):2–10. doi:. http://dx.doi.org/10.1007/s00741-008-0204-5
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