Editorial
Kino versus Neurowissenschaften
Seit der Antike existieren die sieben freien Künste Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie als Vorbereitung für die späteren Fächer wie Medizin. Neun Musen gelten als Schutzgöttinnen der Künste, wie zum Beispiel Kalliope, die Muse der Wissenschaft, Thalia, die Muse der Komödie und Melpomene, die Muse der Tragödie. Wie steht es mit der Forschung, der Neugier, müsste hier eine neue Kunst eröffnet werden oder gilt sie als Querschnittsfunktion?


Karl Studer
Für das Lichtspiel oder Kino müssten wohl mindestens zwei Musen bemüht werden, spielen doch Filme eine wichtige Rolle im gesellschaftlichen Leben, wie beispielsweise bei Filmfestivals, ähnlich den attischen Theaterwettkämpfen, bei denen auch Preise verteilt wurden. An der Universität Genf setzt man sich gleich zwei Mal mit diesem Thema auseinander: Filme mit psychopathologischem Inhalt für Fort -und Weiterbildung (Calzada et al.) und Internet-Abhängigkeit als Risikofaktor dargestellt anhand einer Liebesgeschichte im Film «Her» mit einer Künstlichen Intelligenz (Melideo et al.). Künstliche Intelligenz dürfte in Zukunft ohnehin ein Thema für uns werden, nicht erst seit unsere Enkelinnen in rosaroter Wolke mit Prinzessinnen und Einhörnern leben, Schauspieler:innen und Drehbuchautor:innen sich in Hollywood gegen solche Abhängigkeiten und Konkurrenz wehren und auch Erwachsene gerne in Traumwelten wie «Avatar» und «Barbie» verreisen, aber neue Ängste am Entstehen sind. Man könnte sich allerdings auch vorstellen, Forschungsschwerpunkte in Zusammenhang mit der bildenden Kunst und Literatur an die Hand zu nehmen. Denn wie erklären Sie sich den Run auf die neuen Kathedralen der Kunst in New York, London, Paris, Bilbao, Arles etc. oder die Biennalen in Venedig und Istanbul?
Vier klinische Forschungsarbeiten sind in dieser Zeitschrift versammelt: Eine Studie über die Suizidalität von straffälligen Menschen vor der Verurteilung (Marir et al.), Beziehung zwischen Herzfrequenzvariabilität und Maior Depressive Disorder bei jungen Erwachsenen (Subramaniam & Nagashree), sowie über medizinisch indizierte Belastungserprobung in der stationären Psychiatrie (Müller et al.). Eine umfassende Arbeit über den Stand der Forschung von Immuntherapien bei Myasthenia Gravis rundet das Heft ab (Tatsch et al.).
Relevant sind auch die drei Buchbesprechungen: Therapiemöglichkeiten bei traumatisierten Asylanten (Rumpel et al.), Psychotherapie kompakt, philosophisch unterlegt (Rudolf) und ein Buch über Mentalisieren bei Persönlichkeitsstörungen (Euler). Es fehlt auch nicht die Zusammenfassung einer Studie über ein neues hoffnungsvolles Medikament für beginnende Demenzen (Lecanemab) von Van Dyck et al. und am Anfang des Heftes stehen zwei First Person Accounts von Psychiatrie-Betroffenen, die zum Nachdenken anregen.
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